Black Forest Baukultur

Geschrieben von Dr. Matthias Stippich am 14.05.2016

 

Das folgende offene Manifest zur Black Forest Baukultur entstand als Beitrag zur „Wir sind hier“-Ausstellung im Architekturschaufenster Karlsruhe, in deren Rahmen die Next Generation der jungen und innovativen Büros der Region von Simone Kraft kuratiert wurden. Die Ausstellung wird unterstützt von der Architektenkammer und dem BDA. Als Sonderbeitrag stellten wir unsere Philosophie und unsere Position im zeitgenössischen Architekturdiskurs vor. Da wir in der Entwicklung der Black Forest Baukultur ein riesiges Potenzial sehen, möchten wir euch das natürlich nicht vorenthalten. Eine solche Entwicklung braucht viele Köpfe, offenen Austausch und eine breite Öffentlichkeit. Daher seien hiermit als Startpunkt einer Debatte folgende 6 Thesen mit der Bitte um Diskurs und Fortschreibung proklamiert:

 

 

1. Wir stehen in der Tradition der merkwürdigen Revolutionäre.

Die Geschichte des Schwarzwaldes ist voll von merkwürdigen Revolutionären. Die radikaldemokratischen Revolutionäre um Friedrich Hecker, Die (Kucks)Uhrenbauer um Junghans, die „Hidden Champions“ genannten Spartenweltmarktführer, die international regionalen Künstler um Stefan Strumbel: Sie alle sind ungeheuer innovativ und global erfolgreich, beziehen sich aber sehr explizit auf den Schwarzwald. Die Schwarzwälder Baukultur hat ein entsprechendes Äquivalent noch nicht gefunden. Das muss geändert werden.

 

 

2. Ihr habt die falschen Bilder im Kopf.

Die Ikonografie des Schwarzwaldes ist geprägt von dem Bild, das die Heimatfilme der 1950er Jahre von der Region vermittelten: Bollenhüte, konservative Landbevölkerung, schöne Landschaften und Schwarzwaldhöfe. Diese Bilder sind falsch. Die traumhaften Landschaften sind heute auch der Rückzugsraum für global agierende Unternehmen und bestens vernetzte Kreative. Sie sind die Szenerie für renommierte Sternegastronomen und Junge Winzer, die global ausgebildet wurden. Ziel einer neuen Schwarzwaldarchitektur muss es sein, diesem neuen sozialen Bild des Schwarzwaldes eine architektonische Entsprechung zu geben.

 

 

3. Alles verändert sich. In Echtzeit.

Das Wissen und die Innovation sind traditionell in den Metropolen angesiedelt. Selbst die „merkwürdigen Revolutionäre“ (s.o.) mussten zur Erlangung von Wissen und zum Austausch auf die Metropolen zurückgreifen. Die Digitalisierung und die Vernetzung veränderten alles. Dezentrale Produktion und Kommunikation sind der Status Quo. Dieser gesellschaftlich-technische Paradigmenwechsel wird begleitet von einem architektonischen und städtebaulichen. parametrische Entwurfs- und Produktionsmethoden verändern unsere Vorstellung von Raum und Raumproduktion. Digitale Netze ermöglichen völlig neue Formen der Partizipation der Dorf- und Stadtbewohner, wenn es um die Gestaltung ihrer Umwelt geht.

 

 

4. Die regionale Identität ist der analoge Anker der Digital Natives.

Wir erleben bereits seit geraumer Zeit eine Renaissance der Regionen. Vor allem Regionen mit sehr ausgeprägten kulturellen Merkmalen wie die Schweiz, Vorarlberg, Bayern oder Hamburg entdeckten die Regionalität in den letzten Jahren neu. Ist das reaktionärer Bullshit und Heimattümelei? Mitnichten. Wir stellen die These auf, dass die durch die Digitalisierung und Vernetzung erzeugte globale Lebensweise einen analogen und lokalen Anker braucht. Wer aus einer sicheren lokalen Identität heraus operiert, ist auch frei genug sich auf Experimente einzulassen. Die regionale Identität ist der analoge Anker der Digital Natives. Der Schwarzwald verlangt eine regionale Architektur auf globalem Niveau. Local body – global eye.

 

 

 5. Es ist Zeit für ein neues Paradigma in der Schwarzwälder Baukultur.

Die in These 3 beschriebenen Veränderungen in der Architektur- und Stadtproduktion sind global und allumfassend, wo bleibt denn da die Individualität des Ortes und der Architektur? Sind die softwaregenerierten globalen Architekturicons nicht völlig austauschbar? Ja. Sind sie. Aber wir ändern das jetzt. Im Schwarzwald haben wir eine sehr reiche Tradition an Bau- und Kulturtechniken, die von hier kommt und den Schwarzwald bis heute prägt. Das Ziel einer Baukultur Schwarzwald sollte es sein, diese regionsspezifischen Eigenschaften und Techniken mit den globalen Architekturtrends zu vereinigen und so eine Architektur zu schaffen, die ortsspezifisch UND revolutionär ist. Das ist mehr als eine Neuinterpretation oder eine ergänzende Sichtweise. Die Vorarlberger Architektur der 1990er und die zeitgenössische Schweizer Architektur sind Neuinterpretationen. Wir behaupten dass Sie nur die Vorboten eines viel tiefer gehenden Wandels sind.

 

 

6. Wir brauchen neue Methoden, Prozesse Selbstverständnisse.

So beeindruckend die oben genannten Beispiele aus der Schweizer oder Vorarlberger Architektur auch sind, so zeigen Sie doch die Limits der konventionellen Methoden. Ihre Leistung liegt in der gelungenen Neuinterpretation. Den fundamentalen gesellschaftlichen und technischen Veränderungen und den damit verbundenen Möglichkeiten für Architektur und Stadtplanung tragen sie jedoch nicht Rechnung. Sie entsprechen auch nicht dem Selbstverständnis und der Arbeits- und Lebensweise der neuen Generation. Versteht man Architektur und Stadt als Abbild der Gesellschaft so ist es an uns, der digitalen und vernetzten Generation, die lokal verwurzelt ist und global denkt ein architektonisches Abbild zu geben.

 

 

 

Matthias Stippich  |  Thomas Braun  |  Esteban Pacheco  |  Anja Beintker  |  Helmut Reifsteck  |  et al.  |   Karlsruhe am 12. Mai 2016

 

Posted on 14. Mai 2016 in Black Forest Baukultur

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About the Author

Matthias liebt komplexe Zusammenhänge und innovative Konzepte. Seine Aufgabe ist die strategische Entwicklung von Echomar und die Vernetzung zur universitären Forschung und Lehre. Er interpretiert sowohl in der Stadtentwicklung wie auch im architektonischen Entwurf traditionelle Elemente radikal neu.
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