Spannungsfelder*

Geschrieben von Dr. Matthias Stippich am 08.10.2016

Wir wurden gebeten für eine große Fachpublikation Anfang 2017 unsere Arbeitsweise darzustellen. Nun sind wir ja eher nicht so die klassischen Mein-Haus-mein-Auto-mein-Boot-Architekten, daher haben wir unsere Arbeit auch eher methodisch beschrieben. Das “Operieren in Spannungsfeldern” ist das, was unsere Arbeit wohl am besten beschreibt. Hier der Artikel:

 

 

“Die Architektur galt und gilt immer noch als die Generalistendisziplin schlechthin. Dem Selbstverständnis der Architekten als Generalisten steht jedoch eine Realität gegenüber, in der sich die Raumproduktion im Allgemeinen immer mehr in Spezialdisziplinen aufteilt und in der die Architekten erkennbar immer mehr an Boden verlieren. Wir haben uns vor zwei Jahren für die Herausforderung entschieden über eine sehr konzeptionelle Arbeitsweise Felder zusammen zu bringen, die unser Auffassung nach unabdingbar zusammen gehören. Unsere Arbeit lässt sich daher wohl am treffendsten als permanentes Oszillieren in den folgenden Spannungsfeldern beschreiben:

 

Spannungsfelder_2

Spannungsfeld 1: Stadtplanung vs. Architektur.                   Durch die oben beschriebene Spezialisierung wird immer mehr Architektur ohne eine Betrachtung des räumlich-funktionalen Kontextes produziert. Umgekehrt lässt die Stadtplanung häufig gestalterische und soziale Aspekte außen vor und konzentriert sich auf juristische und verwaltungstechnische Aspekte. Die detaillierte konzeptuelle Auseinandersetzung mit dem Kontext prägt unsere Projekte und verschafft ihnen eine Legitimation und Logik, die sie dann auch abseits des individuellen Ästhetikempfindens diskutier- und verhandelbar macht. Wollen wir eine nachhaltige qualitative Verbesserung unserer Städte und Gebäude erreichen, müssen wir die wechselseitigen Abhängigkeiten von Stadt und Architektur genauer verstehen und vor allem präziser argumentieren können.

 

Spannungsfeld 2: Lokal vs. Global.                              Die Digitalisierung und die bautechnische Entwicklung der letzten Jahre haben uns unglaublich mächtige Werkzeuge zur Architekturproduktion (Grasshopper, CAAD, BLM) und zur medialen Distribution zur Verfügung gestellt. Diese global wirksame Entwicklung birgt aber auch die Gefahr der architektonischen Selbstsuffizienz und Austauschbarkeit. Auf der anderen Seite entwickelte sich eine starke Renaissance der regionalen Identitäten, die wir als Ausgleichsbewegung zur Globalisierung und Digitalisierung verstehen. Unsere Heimat der Schwarzwald ist hier ein exzellentes Beispiel. Eines der wesentlichsten Merkmale der Echomarprojekte ist daher das Zusammenwirken dieser beiden Pole: Die digitale Uminterpretation lokaler Kultur- und Bautechniken aus einer globalen Perspektive heraus.

 

Spannungsfeld 3: Theorie vs. Praxis.                            Bedingt durch die stark akademische Ausrichtung Echomars werden wir oft als konzeptions- und theorielastig wahrgenommen. Tatsächlich halten wir ein breites und belastbares theoretisches Fundament für die unabdingbare Basis einer guten Konzeption. Wir sind überzeugt, dass eine baukulturelle Tiefe nicht ohne eine theoretische Tiefe erreichbar ist. Dennoch wissen wir natürlich, dass die besten Konzepte nur Schall und Rauch bleiben, wenn es uns nicht gelingt, sie in die räumliche Realität zu überführen. Wir beobachten in der Architekturszene eine große Diskrepanz zwischen den visionären Renderings der Entwurfsphasen und Wettbewerbe auf der einen, und der oft sehr ernüchternden gebauten Realität auf der anderen Seite. Die Resilienz unserer Projekte ist uns daher ungeheuer wichtig. Es ist vielleicht unsere größte Herausforderung die ökonomischen, technischen und strategischen Aspekte eines Projekts zu antizipieren und als unverrückbares Element in der Konzeption zu verankern.

 

So spannend das Operieren in Spannungsfeldern auch ist, es im Alltag durchzuhalten ist eine große Herausforderung. Es erfordert ein permanentes Infragestellen der eigenen Positionen und Methodiken. Das strengt an. Das verunsichert. Das kostet Geld, Zeit und Energie. Am Ende des Tages ist dieser Weg aber der einzig richtige für uns , denn wenn es etwas gibt das uns mit den Architekten vergangener Generationen eint, dann ist das die große Faszination des Gestaltens und der unbedingte Wille unsere Umwelt zum Besseren zu verändern. Wir sind Echomar.”

 

Posted on 8. Oktober 2016 in Allgemein, Architektur, Forschung

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About the Author

Matthias liebt komplexe Zusammenhänge und innovative Konzepte. Seine Aufgabe ist die strategische Entwicklung von Echomar und die Vernetzung zur universitären Forschung und Lehre. Er interpretiert sowohl in der Stadtentwicklung wie auch im architektonischen Entwurf traditionelle Elemente radikal neu.
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